Genomweite Assoziationsstudien zu Adipositas und was wir daraus lernen
Wien Med Wochenschr
Genomweite Assoziationsstudien zu Adipositas und was wir daraus lernen
Florian Kronenberg 0 1 2
Bernhard Paulweber 0 1 2
Claudia Lamina 0 1 2
0 Schlüsselwörter Genetische Variabilität · Genomweite Assoziationsstudie · Heritabilität
1 B. Paulweber Universitätsklinik für Innere Medizin I der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg , St. Johanns-Spital, Müllner Hauptstraße 48, 5020 Salzburg, Österreich
2 Univ.-Prof. Dr. F. Kronenberg () · C. Lamina Division für Genetische Epidemiologie, Department für Medizinische Genetik, Molekulare and Klinische Pharmakologie, Medizinische Universität Innsbruck , Schöpfstr. 41, 6020 Innsbruck, Österreich
Zusammenfassung Die Einführung genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) führte zu einem sprunghaften Anstieg der Anzahl von Genen, die mit Adipositas und zusammenhängenden Phänotypen wie BodyMass-Index, Taillenumfang und Taille-Hüft-Quotient assoziiert sind. Dabei ist die Suche nach Genen, die für Übergewicht prädisponieren erst am Anfang, denn der Großteil des geschätzten vererbbaren Anteils von Übergewicht ist noch ungeklärt. Jedes einzelne der 97 bisher bekannten Gene für Body-Mass-Index und 49 Gene für Taille-Hüft-Quotient erklärt nur einen sehr kleinen Anteil der Varianz dieser Phänotypen. Geschlechtsspezifische Unterschiede kennen wir hauptsächlich nur für den Phänotyp Taille-Hüft-Quotient und ca. zwei Fünftel der dafür bekannten Genvarianten weist vor allem bei Frauen einen Effekt auf und keinen oder einen deutlich geringeren Effekt bei Männern. Die funktionelle Charakterisierung dieser Gene wird lange Zeit in Anspruch nehmen. Ob und wie schnell sich aus den Ergebnissen therapeutische Konsequenzen ergeben, lässt sich schwer abschätzen. Das Verständnis involvierter Regelkreise ist aber unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung neuer Therapien.
Genetic variability; Obesity; Body-Mass-Index; Waist-hip-ratio; Genome-wide association study; Heritability
-
Summary The introduction of genome-wide association
studies resulted in a tremendous increase in the number
of genes associated with obesity and related phenotypes
(BMI, waist and waist-hip-ratio). Despite this enormous
gain in knowledge the search for genes is only started
since only a small fraction of the heritability of these
phenotypes is explained yet: each single gene of the 97
hitherto known BMI-associated genes and 49
waist-hipratio-associated genes explains only a tiny fraction of the
variance of these phenotypes. Sex-specific differences are
mainly known for waist-hip-ratio and ~40 % of the genes
showed only an effect in women but no or a markedly
smaller effect in men. The functional characterization
of the identified genes will take a lot of time. It is
unclear whether and how fast the findings will result in
therapeutic consequences. It is of utmost importance
that we understand the involved mechanisms before new
therapeutic strategies can be developed.
Warum sollte Genetik unser Körpergewicht überhaupt beeinflussen?
Es besteht kein Zweifel, dass die Häufigkeit der
Adipositas in der Bevölkerung über die letzten
Jahrzehnte dramatisch zugenommen hat. Diese Zunahme
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ist allerdings nicht nur durch das Überangebot und
die leichte Zugänglichkeit zu Nahrung in unseren
geographischen Breiten bedingt, sondern basiert zum Teil
auch auf einer entsprechenden genetischen Ausstattung,
die jedes Individuum zu einem unterschiedlichen
Umgang mit Nahrung und der Verwertung von Nahrung
„prädisponiert“. Kritiker werfen an dieser Stelle sehr
häufig ein, warum Genetik hier eine wichtige Rolle spielen
sollte, wo doch der Anstieg der Prävalenz der Adipositas
in den letzten Jahrzehnten zu beobachten war, vor allem
aber die Genetik auf Populationsebene als relativ „stabil“
auf die kurze Zeitspanne gesehen werden kann. Oder mit
anderen Wort: Es ist sicherlich nicht zu erwarten, dass
sich in den letzten Jahrzehnten genetische Mutationen
entwickelt haben, die zu Adipositas prädisponieren. In
diesem Zeitraum hat aber auch z. B. die
durchschnittliche Körpergröße zugenommen. Trotzdem würde kaum
jemand die genetische Komponente bezweifeln, die der
Körpergröße zugrunde liegt. Man nimmt an, dass es
über Millionen von Jahren zu einer Akkumulation von
Allelen (Genvarianten) gekommen ist, die jede für sich
einen kleinen Beitrag zur Adipositas leistet, der aber
unter „normalen“ Ernährungsbedingungen schwer
phänotypisch fassbar ist, wenn man diese Genvarianten
einzeln betrachtet. Durch die deutliche Veränderung
hin zu einer nahrungsreichen und bewegungsarmen
Umgebung erfahren diese Genvarianten eine
„sichtbare“ Bedeutung, indem sie zu einem additiven und
leichter messbaren Effekt führen. Man kann dies auch
als klassische Gen-Umwelt-Interaktionen bezeichnen.
Dabei wurden in den letzten Jahrzehnten mehrere
verschiedene Blickwinkel der „thrifty gene“ Hypothese
diskutiert: einerseits könnten evolutionsgeschichtlich
Träger von Mutationen, die zu einer effektiveren
Fetteinlagerung führen, in (...truncated)