Genomweite Assoziationsstudien zu Adipositas und was wir daraus lernen

Wiener Medizinische Wochenschrift, Jan 2016

Die Einführung genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) führte zu einem sprunghaften Anstieg der Anzahl von Genen, die mit Adipositas und zusammenhängenden Phänotypen wie Body-Mass-Index, Taillenumfang und Taille-Hüft-Quotient assoziiert sind. Dabei ist die Suche nach Genen, die für Übergewicht prädisponieren erst am Anfang, denn der Großteil des geschätzten vererbbaren Anteils von Übergewicht ist noch ungeklärt. Jedes einzelne der 97 bisher bekannten Gene für Body-Mass-Index und 49 Gene für Taille-Hüft-Quotient erklärt nur einen sehr kleinen Anteil der Varianz dieser Phänotypen. Geschlechtsspezifische Unterschiede kennen wir hauptsächlich nur für den Phänotyp Taille-Hüft-Quotient und ca. zwei Fünftel der dafür bekannten Genvarianten weist vor allem bei Frauen einen Effekt auf und keinen oder einen deutlich geringeren Effekt bei Männern. Die funktionelle Charakterisierung dieser Gene wird lange Zeit in Anspruch nehmen. Ob und wie schnell sich aus den Ergebnissen therapeutische Konsequenzen ergeben, lässt sich schwer abschätzen. Das Verständnis involvierter Regelkreise ist aber unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung neuer Therapien.

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Genomweite Assoziationsstudien zu Adipositas und was wir daraus lernen

Wien Med Wochenschr Genomweite Assoziationsstudien zu Adipositas und was wir daraus lernen Florian Kronenberg 0 1 2 Bernhard Paulweber 0 1 2 Claudia Lamina 0 1 2 0 Schlüsselwörter Genetische Variabilität · Genomweite Assoziationsstudie · Heritabilität 1 B. Paulweber Universitätsklinik für Innere Medizin I der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität Salzburg , St. Johanns-Spital, Müllner Hauptstraße 48, 5020 Salzburg, Österreich 2 Univ.-Prof. Dr. F. Kronenberg () · C. Lamina Division für Genetische Epidemiologie, Department für Medizinische Genetik, Molekulare and Klinische Pharmakologie, Medizinische Universität Innsbruck , Schöpfstr. 41, 6020 Innsbruck, Österreich Zusammenfassung Die Einführung genomweiter Assoziationsstudien (GWAS) führte zu einem sprunghaften Anstieg der Anzahl von Genen, die mit Adipositas und zusammenhängenden Phänotypen wie BodyMass-Index, Taillenumfang und Taille-Hüft-Quotient assoziiert sind. Dabei ist die Suche nach Genen, die für Übergewicht prädisponieren erst am Anfang, denn der Großteil des geschätzten vererbbaren Anteils von Übergewicht ist noch ungeklärt. Jedes einzelne der 97 bisher bekannten Gene für Body-Mass-Index und 49 Gene für Taille-Hüft-Quotient erklärt nur einen sehr kleinen Anteil der Varianz dieser Phänotypen. Geschlechtsspezifische Unterschiede kennen wir hauptsächlich nur für den Phänotyp Taille-Hüft-Quotient und ca. zwei Fünftel der dafür bekannten Genvarianten weist vor allem bei Frauen einen Effekt auf und keinen oder einen deutlich geringeren Effekt bei Männern. Die funktionelle Charakterisierung dieser Gene wird lange Zeit in Anspruch nehmen. Ob und wie schnell sich aus den Ergebnissen therapeutische Konsequenzen ergeben, lässt sich schwer abschätzen. Das Verständnis involvierter Regelkreise ist aber unabdingbare Voraussetzung für die Entwicklung neuer Therapien. Genetic variability; Obesity; Body-Mass-Index; Waist-hip-ratio; Genome-wide association study; Heritability - Summary The introduction of genome-wide association studies resulted in a tremendous increase in the number of genes associated with obesity and related phenotypes (BMI, waist and waist-hip-ratio). Despite this enormous gain in knowledge the search for genes is only started since only a small fraction of the heritability of these phenotypes is explained yet: each single gene of the 97 hitherto known BMI-associated genes and 49 waist-hipratio-associated genes explains only a tiny fraction of the variance of these phenotypes. Sex-specific differences are mainly known for waist-hip-ratio and ~40 % of the genes showed only an effect in women but no or a markedly smaller effect in men. The functional characterization of the identified genes will take a lot of time. It is unclear whether and how fast the findings will result in therapeutic consequences. It is of utmost importance that we understand the involved mechanisms before new therapeutic strategies can be developed. Warum sollte Genetik unser Körpergewicht überhaupt beeinflussen? Es besteht kein Zweifel, dass die Häufigkeit der Adipositas in der Bevölkerung über die letzten Jahrzehnte dramatisch zugenommen hat. Diese Zunahme 1 3 ist allerdings nicht nur durch das Überangebot und die leichte Zugänglichkeit zu Nahrung in unseren geographischen Breiten bedingt, sondern basiert zum Teil auch auf einer entsprechenden genetischen Ausstattung, die jedes Individuum zu einem unterschiedlichen Umgang mit Nahrung und der Verwertung von Nahrung „prädisponiert“. Kritiker werfen an dieser Stelle sehr häufig ein, warum Genetik hier eine wichtige Rolle spielen sollte, wo doch der Anstieg der Prävalenz der Adipositas in den letzten Jahrzehnten zu beobachten war, vor allem aber die Genetik auf Populationsebene als relativ „stabil“ auf die kurze Zeitspanne gesehen werden kann. Oder mit anderen Wort: Es ist sicherlich nicht zu erwarten, dass sich in den letzten Jahrzehnten genetische Mutationen entwickelt haben, die zu Adipositas prädisponieren. In diesem Zeitraum hat aber auch z.  B. die durchschnittliche Körpergröße zugenommen. Trotzdem würde kaum jemand die genetische Komponente bezweifeln, die der Körpergröße zugrunde liegt. Man nimmt an, dass es über Millionen von Jahren zu einer Akkumulation von Allelen (Genvarianten) gekommen ist, die jede für sich einen kleinen Beitrag zur Adipositas leistet, der aber unter „normalen“ Ernährungsbedingungen schwer phänotypisch fassbar ist, wenn man diese Genvarianten einzeln betrachtet. Durch die deutliche Veränderung hin zu einer nahrungsreichen und bewegungsarmen Umgebung erfahren diese Genvarianten eine „sichtbare“ Bedeutung, indem sie zu einem additiven und leichter messbaren Effekt führen. Man kann dies auch als klassische Gen-Umwelt-Interaktionen bezeichnen. Dabei wurden in den letzten Jahrzehnten mehrere verschiedene Blickwinkel der „thrifty gene“ Hypothese diskutiert: einerseits könnten evolutionsgeschichtlich Träger von Mutationen, die zu einer effektiveren Fetteinlagerung führen, in (...truncated)


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Univ.-Prof. Dr. Florian Kronenberg, Bernhard Paulweber, Claudia Lamina. Genomweite Assoziationsstudien zu Adipositas und was wir daraus lernen, Wiener Medizinische Wochenschrift, 2016, pp. 88-94, Volume 166, Issue 3-4, DOI: 10.1007/s10354-015-0429-7