Orale Krebstherapien erfordern eine aktive Mitarbeit
Orale Krebstherapien erfordern eine aktive Mitarbeit
Viele Faktoren kommen zusammen: Der demogra sche Wandel bedingt, dass Krebspatienten zunehmend älter sind. Neue orale erapeutika und der technische Fortschritt erlauben eine frühe ambulante Krebstherapie. Für Ärzte und Patienten o eine Herausforderung.
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Der Patient ist mehr denn je gefragt
Schwerpunkt der klinischen onkologischen Forschung ist die
Entwicklung neuer und immer wirksamerer, kurativer
Interventionen. Jedoch ist mit dem Nachweis eines signi kanten
Erfolgs einer Arzneimittelwirkung nicht automatisch dessen
Nutzen gesichert. Dieser ist von vielen Faktoren abhängig, die o
erst in der Praxis relevant werden. Entscheidend sind hier unter
anderem das Alter des Patienten, das Ausmaß von
Komorbiditäten verbunden mit altersrelevanter Polypharmazie und
abnehmender Bioverfügbarkeit durch reduzierte Resorption im
Gastrointestinaltrakt. Hinzu kommen Arzneimittelinteraktionen,
der Performancestatus, die Lebens- und Essensgewohnheiten
des Patienten usw. Vielfältige Ein‹üsse also, die sich nachhaltig
auf die Wirkung der Žerapie – bei jedem einzelnen
Betro“enen unterschiedlich – auswirken und damit den Nutzen der
Behandlung modulieren. Hinzu kommen – in anderen Ländern
und zunehmend auch bei uns – die materiellen und
immateriellen Kosten im Zusammenhang mit der Krebsbehandlung.
Adhärenz, ein immer noch unterschätzter Faktor
Immer noch zu wenig Beachtung ndet in diesem
Zusammenhang die Adhärenz des Kranken. Dabei ist sie von kritischer
Be
Prof. Dr. Ulrich R. Kleeberg
deutung für den Behandlungserfolg. Wie wichtig die Mitarbeit
des Patienten an seiner Genesung ist, zeigen verschiedene
Erkenntnisse, die erst in jüngerer Zeit wissenscha lich bestätigt
wurden: Rauchen etwa mindert den E“ekt einer Chemo- und/
oder Strahlentherapie, die Aufnahme verschiedener Wirksto“e
ist abhängig von der resorptiven Kapazität des (oberen)
Gastrointestinaltrakts. Diese wiederum wird durch eine Reihe von
Faktoren bestimmt: von der exokrinen und
Schleimhautfunktion, von Nahrungsmittelinteraktionen, z. B. bei gleichzeitiger
Aufnahme von fetthaltiger Nahrung oder auch Milch, von der
Verweildauer im Verdauungstrakt, von Alkoholkonsum als
relevantem Wachstumsfaktor für Tumorzellen und nicht zuletzt
vom Vorliegen entzündlicher, die Tumorprogredienz
fördernder Veränderungen usw.
Gemeinsam an einem Strang ziehen
Gerade im Hinblick auf die Adhärenz des Patienten darf sich
die Aufgabe des Arztes also nicht nur auf die Rezeptur
beschränken, etwa auf das „Žerapieschema“, welches vielleicht
auch noch an die Arzthelferin delegiert wird. Vielmehr bedarf
es, um eine optimale Bioverfügbarkeit des Pharmakons
sicherzustellen, einer konzertierten Aktion des onkologischen Teams
und wo immer möglich der Mitarbeit des Patienten selbst und
seiner Angehörigen.
Vor dem Hintergrund dieser Vielzahl von Interaktionen und
Wechselwirkungen, also der variablen Bioverfügbarkeit der
Medikationen, die Adhärenz des Patienten nicht ernst zu nehmen,
ist fahrlässig. Die Kosten sind hoch:
Für die Kranken sind es die Einbußen an
Überlebenschancen, dies konnten Jacquie H. Chirgwin und Kollegen im
Rahmen der BIG 1-98-Studie wieder eindrucksvoll zeigen
[Chirgwin JH et al. J Clin Oncol. 2016;34(21):2452-9; siehe dazu auch
den Journal-Club-Beitrag Seite 24], und das mit einem weiteren
Tumorprogress verbundene Leid.
Für die Gemeinscha sind es die erhöhten Kosten für
palliative Maßnahmen. Diese können bei den ausufernden Preisen
für die bereits eingeführten und noch bevorstehenden
Innovationen, beispielsweise die verschiedenen
Tyrosinkinasehemmern oder die Immuncheckpointinhibitoren, zu einer
relevanten Belastung des Gesundheitswesens werden.
Handlungsbedarf in drei Feldern
Kurzum, die Ärztescha , aber ganz besonders die Onkologie,
muss sich dieses Problems einer verminderten
Arzneimittelwirkung infolge mangelnder Adhärenz aktiv zuwenden und
Strukturen scha“en, die die Wirkung eines Pharmakons auch in
Nutzen für den Patienten übersetzen. Drei Aufgabenbereiche stehen
oben an, der Allgemeinzustand des Patienten, die Toxizität der
Žerapie und deren e“ektive Behandlung:
▶ Bestehen ein reduzierter Allgemeinzustand, eine negative
bzw. depressive Grundstimmung, Komorbidität verbunden
mit Polypharmazie, höheres biologisches Alter,
Vergesslichkeit, alleinstehender Sozialstatus, dann müssen Strategien
erö“net werden, mit denen man die Adhärenz nachhaltig ver
bessern kann: Beispiele dafür können eine wöchentliche
Vorausplanung der täglichen Tabletteneinnahme (in
entsprechenden Döschen erhältlich über die Apotheken) sein, die
Verblisterung der Tagesdosis und deren Zustellung begrenzt
auf wenige Tage, oder die Überprüfung der Compliance
gemeinsam mit dem Apothekenpersonal, den Mitarbeitern, der
Krankenp‹ege; alles begleitet von einer engagierten und
regelmäßigen psychosozialen Anteilnahme zur Motivation des
Patienten.
▶ Insbesondere bei der Nachsorge von Patienten mit kurativ
intendierter Primärtherapie muss der Adhärenz bei adjuva (...truncated)