Vom Doktor kam das schönste Geschenk
MMW Fortschritte der Medizin
Vom Doktor kam das schönste Geschenk
_ Weihnachtlich wird mir zumute
wenn ich an einen Patienten von mir zu- rückdenke. Für immer ans Bett gefesselt
-
war das Lesen sein Leben geworden. Er
ging ganz in seinen Büchern auf. Doch
wurde ihm auch diese Freude schließlich
getrübt, als sich eine Katarakt in seinem
linken Auge entwickelte.
Ich schlug ihm eine Operation vor,
doch der Patient wehrte sofort ab: „Nein
danke, bei meiner Mutter ist das damals
schiefgegangen!“ Ich versuchte es mit
argumentativer Logik: „Wie viel
schlimmer kann es denn werden, als überhaupt
nichts zu sehen?“ Das hat ihn überzeugt,
und er erlaubte mir, den Eingri‰ ins
Rollen zu bringen.
Wir mussten nicht, wie einst der
Medicus bei Noah Gordon, zum Hakim
nach Isfahan reisen. Nein, im schönen
Krankenhaus in meiner Nachbarscha‘
saß ja mein lieber Kollege, der schon so
manches Auge wieder in Ordnung
gebracht hatte. Den würde ich ansprechen,
versprach ich meinem Patienten.
Noch am selben Tag machte ich einen
Krankenbesuch in eben jenem Hospital,
und da lief mit prompt der Augenarzt
über den Weg. „Auf Zeichen achten“,
sagte ich mir, „gerade in der
Adventszeit.“ Ich sprach ihn also an, er
akzeptierte sofort.
Nur ein paar Tage später kam ein
Anruf von meinem Patienten: Ein
überschwänglicher Dank von einem
überglücklichen Menschen, der sein
Augenlicht wiedererhalten hatte. Der
Augenarzt hatte ihm das schönste
Weihnachtsgeschenk gemacht. Wie der sich gefreut
hatte, das war unglaublich,
herzerwärmend und ansteckend. Ein
wunderschönes Weihnachtsgefühl. ■
Dr. Luise Hess, Darmstadt
_ Als pure Mittelfränkin war ich für
einige Zeit im Oberfränkischen
niedergelassen. Das war nicht nur meine erste
Erfahrung mit dem Hausarztwesen,
sondern auch – so nah ich meiner Heimat
auch war – mein erster Kontakt mit einer
lebenden Fremdsprache.
Als mir in den ersten Tagen eine
Mutter mit ihrem kleinen Mädchen
gegenüber saß und behauptete, „es Kind göggt
und kuudsd“, wartete ich, Kompetenz
ausstrahlend, erst einmal längere Zeit ab,
ob das Kind irgendwelche
di‰erenzialdiagnostisch verwertbaren Geräusche
von sich geben würde. Am Ende musste
ich aber meine eingeborene
Praxispartnerin zum Übersetzen holen.
Als mir dann im nächsten
Sprechzimmer ein sehr alter Bauer klagte, er sei
„nobollert“, wusste ich, dass die Basis der
Hausarztmedizin zuallererst eine
gemeinsame Sprache ist. Alle eifrig
erworbenen Büchlein mit Tipps und Tricks für
Hausärzte waren hier nutzlos.
Ach ja, Sie wollen sicher wissen, was
die Patienten denn nun hatten!
„Nobollert“ bedeutet einfach „heruntergefallen“.
Und ein Kind, dass „göggt und kuudsd“,
hustet bis zum Erbrechen. „Kutzen“
steht für „husten“, und „göggen“ bedeu
tet so viel wie Brechreiz haben, würgen
oder sogar erbrechen. ■
Dr. Ingrid Hermann-Siedler, Erlangen (...truncated)