Von der somatischen Tumorgenetik zur personalisierten Onkologie
Von der somatischen Tumorgenetik zur personalisierten Onkologie
0 Institut für Humangenetik, Universität Ulm & Universitätsklinikum Ulm , Ulm , Deutschland
1 Prof. Dr. med. R. Siebert Institut für Humangenetik, Universität Ulm & Universitätsklinikum Ulm Albert-Einstein-Allee 11 , 89081 Ulm , Deutschland
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Es gilt heute als erwiesen, dass
Veränderungen im Erbgut von Krebszellen bei
allen Tumorentitäten eine
entscheidende Rolle in der Initiierung,
Transformation und Progression spielen. Die
plakative Aussage „Krebs ist immer eine
Erkrankung der Gene.“ wird deshalb heute
weithin und quer durch alle
Fachdisziplinen der Medizin akzeptiert. Bei den
meisten Patienten sind dabei die
genetischen und auch epigenetischen
Veränderungen somatisch erworben und auf die
Tumorzellen beschränkt. Deshalb
besitzen gerade die Aspekte der somatischen
Humangenetik überragende Bedeutung
für die Onkologie und die Betreuung von
Patienten mit Krebserkrankungen.
Lange standen im Fokus
tumorgenetischer Forschung und Diagnostik
insbesondere solche Erkrankungen, die der
Probenentnahme leicht zugänglich und
zudem relativ einfach zu kultivieren
waren, wie z. B. Leukämien. Mit Einführung
hochauflösender Genom-weiter
Untersuchungsverfahren mit Anwendbarkeit
auf archivierte Gewebeproben hat sich
dies dramatisch geändert. Durch diese
Verfahren war es zunehmend möglich,
die biologisch und klinisch relevanten
Aberrationen auch in häufigen
Tumoren, wie Brust- oder Lungenkrebs, oder
in Neoplasien mit besonders ungünstiger
Prognose, wie Hirntumoren- oder
Pankreaskarzinomen, zu beschreiben.
Parallel erfolgte die Entwicklung neuer
Medikamentenklassen, die auf
verschiedenen Ebenen der Zelle eine „spezifische“
Therapie erlauben, welche direkt oder
indirekt gegen die pathogenen
Konsequenzen der genetischen Veränderungen
gerichtet ist. Auch hier kamen
Pionierstudien aus dem Bereich der
Hämatologie, wie z. B. die Entwicklung von
STI571 zur Therapie derBCR/ABL-positiven
chronisch myeloischen Leukämie. Doch
auch in diesem Bereich rücken
zunehmend die soliden Tumoren in den
Vordergrund. Dies kann man exemplarisch
an den ALK-Inhibitoren sehen, deren
breiter klinischer Einsatz erst durch den
Nachweis ALK-positiver
Bronchialkarzinome vorangetrieben wurde, obwohl
schon lange zuvor seltene ALK-positive
Lymphome bekannt waren.
Die technologischen Entwicklungen
gepaart mit neuartigen
Therapieansätzen haben dazu beigetragen, dass die
somatische Tumorgenetik, wie sie in
der Humangenetik an einer Reihe von
Standorten im Forschungskontext und
in der diagnostischen Routine seit z. T.
Jahrzehnten betrieben wurde und nach
wie vor wird, zum Gegenstand
berufspolitischer Auseinandersetzungen
wurde. Dazu werden Begrifflichkeiten
wie „Präzisionsmedizin“ oder
„Molekularpathologie“ verwendet, mit denen die
somatische Tumorgenetik in anderen
Disziplinen der Medizin umschrieben
wird. Neben dem Technologiefortschritt
sind für diese Auseinandersetzungen
aber primär die Zahl an Patienten und
damit nicht unwesentlich ökonomische
Interessen ausschlaggebend. Insgesamt
liegt die Zahl an Krebspatienten deutlich
höher als für quasi alle durch
konstitutionelle Varianten hervorgerufenen,
genetisch (mit)bedingten
Krankheitsbilder. Nach Angaben des
Robert-KochInstituts (RKI) erkranken in
Deutschland etwa 43 % der Frauen und 51 %
der Männer im Laufe ihres Lebens
an Krebs (www.rki.de). Entsprechend
wurde bei etwa 253.000 Männern und
230.000 Frauen im Jahr 2013 neu eine
Krebserkrankung diagnostiziert. Ende
2013 lebten rund 1,6 Mio. Menschen in
Deutschland mit einer bis zu fünf Jahre
zurückliegenden Krebsdiagnose; weitere
1,1 Mio. Menschen waren zwischen fünf
und zehn Jahren zuvor erstmals an Krebs
erkrankt (Bericht zum
Krebsgeschehen in Deutschland 2016, http://www.
krebsdaten.de/). Somit dürfte Krebs die
mit Abstand häufigste genetische
Erkrankung sein.
Auch in einem weiteren quantitativen
Aspekt unterscheiden sich
Krebserkrankungen von anderen genetisch
(mit)bedingten Erkrankungen: nämlich
in der hohen Anzahl an Aberrationen.
Tumorzellen tragen in der Regel
Hunderte bis Tausende von Mutationen. Auch
wenn sicher nicht alle davon pathogen
bzw. klinisch relevant sind, so liegt die
Anzahl doch in der Regel deutlich höher
als die Zahl von Keimbahnvarianten,
welche für angeborene Syndrome oder
Krankheitsdispositionen verantwortlich
sind. Gleichzeitig konterkariert aber
diese hohe Zahl der genetischen
Veränderungen in gewisser Weise die oben
skizzierten berufspolitischen
Auseinandersetzungen: Gerade die Komplexität
der genetischen Veränderungen
erfordert eine interdisziplinäre
Zusammenarbeit in der Analyse und Interpretation
dieser Veränderungen im Sinne des
Patienten. Und gerade die Komplexität der
Veränderungen führt dazu, dass
letztlich (fast) jeder Patient ein individuelles
Mutationsmuster seiner Tumorzellen
besitzt, welches zudem im Rahmen einer
klonalen Evolution sich noch ständig
verändern kann. Aus großen
Patientenzahlen werden so schnell (sehr) kleine
molekulare Subgruppen, welche (...truncated)