Von der somatischen Tumorgenetik zur personalisierten Onkologie

medizinische genetik, Dec 2016

Prof. Dr. med. Reiner Siebert

A PDF file should load here. If you do not see its contents the file may be temporarily unavailable at the journal website or you do not have a PDF plug-in installed and enabled in your browser.

Alternatively, you can download the file locally and open with any standalone PDF reader:

https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs11825-017-0122-x.pdf

Von der somatischen Tumorgenetik zur personalisierten Onkologie

Von der somatischen Tumorgenetik zur personalisierten Onkologie 0 Institut für Humangenetik, Universität Ulm & Universitätsklinikum Ulm , Ulm , Deutschland 1 Prof. Dr. med. R. Siebert Institut für Humangenetik, Universität Ulm & Universitätsklinikum Ulm Albert-Einstein-Allee 11 , 89081 Ulm , Deutschland - Es gilt heute als erwiesen, dass Veränderungen im Erbgut von Krebszellen bei allen Tumorentitäten eine entscheidende Rolle in der Initiierung, Transformation und Progression spielen. Die plakative Aussage „Krebs ist immer eine Erkrankung der Gene.“ wird deshalb heute weithin und quer durch alle Fachdisziplinen der Medizin akzeptiert. Bei den meisten Patienten sind dabei die genetischen und auch epigenetischen Veränderungen somatisch erworben und auf die Tumorzellen beschränkt. Deshalb besitzen gerade die Aspekte der somatischen Humangenetik überragende Bedeutung für die Onkologie und die Betreuung von Patienten mit Krebserkrankungen. Lange standen im Fokus tumorgenetischer Forschung und Diagnostik insbesondere solche Erkrankungen, die der Probenentnahme leicht zugänglich und zudem relativ einfach zu kultivieren waren, wie z. B. Leukämien. Mit Einführung hochauflösender Genom-weiter Untersuchungsverfahren mit Anwendbarkeit auf archivierte Gewebeproben hat sich dies dramatisch geändert. Durch diese Verfahren war es zunehmend möglich, die biologisch und klinisch relevanten Aberrationen auch in häufigen Tumoren, wie Brust- oder Lungenkrebs, oder in Neoplasien mit besonders ungünstiger Prognose, wie Hirntumoren- oder Pankreaskarzinomen, zu beschreiben. Parallel erfolgte die Entwicklung neuer Medikamentenklassen, die auf verschiedenen Ebenen der Zelle eine „spezifische“ Therapie erlauben, welche direkt oder indirekt gegen die pathogenen Konsequenzen der genetischen Veränderungen gerichtet ist. Auch hier kamen Pionierstudien aus dem Bereich der Hämatologie, wie z. B. die Entwicklung von STI571 zur Therapie derBCR/ABL-positiven chronisch myeloischen Leukämie. Doch auch in diesem Bereich rücken zunehmend die soliden Tumoren in den Vordergrund. Dies kann man exemplarisch an den ALK-Inhibitoren sehen, deren breiter klinischer Einsatz erst durch den Nachweis ALK-positiver Bronchialkarzinome vorangetrieben wurde, obwohl schon lange zuvor seltene ALK-positive Lymphome bekannt waren. Die technologischen Entwicklungen gepaart mit neuartigen Therapieansätzen haben dazu beigetragen, dass die somatische Tumorgenetik, wie sie in der Humangenetik an einer Reihe von Standorten im Forschungskontext und in der diagnostischen Routine seit z. T. Jahrzehnten betrieben wurde und nach wie vor wird, zum Gegenstand berufspolitischer Auseinandersetzungen wurde. Dazu werden Begrifflichkeiten wie „Präzisionsmedizin“ oder „Molekularpathologie“ verwendet, mit denen die somatische Tumorgenetik in anderen Disziplinen der Medizin umschrieben wird. Neben dem Technologiefortschritt sind für diese Auseinandersetzungen aber primär die Zahl an Patienten und damit nicht unwesentlich ökonomische Interessen ausschlaggebend. Insgesamt liegt die Zahl an Krebspatienten deutlich höher als für quasi alle durch konstitutionelle Varianten hervorgerufenen, genetisch (mit)bedingten Krankheitsbilder. Nach Angaben des Robert-KochInstituts (RKI) erkranken in Deutschland etwa 43 % der Frauen und 51 % der Männer im Laufe ihres Lebens an Krebs (www.rki.de). Entsprechend wurde bei etwa 253.000 Männern und 230.000 Frauen im Jahr 2013 neu eine Krebserkrankung diagnostiziert. Ende 2013 lebten rund 1,6 Mio. Menschen in Deutschland mit einer bis zu fünf Jahre zurückliegenden Krebsdiagnose; weitere 1,1 Mio. Menschen waren zwischen fünf und zehn Jahren zuvor erstmals an Krebs erkrankt (Bericht zum Krebsgeschehen in Deutschland 2016, http://www. krebsdaten.de/). Somit dürfte Krebs die mit Abstand häufigste genetische Erkrankung sein. Auch in einem weiteren quantitativen Aspekt unterscheiden sich Krebserkrankungen von anderen genetisch (mit)bedingten Erkrankungen: nämlich in der hohen Anzahl an Aberrationen. Tumorzellen tragen in der Regel Hunderte bis Tausende von Mutationen. Auch wenn sicher nicht alle davon pathogen bzw. klinisch relevant sind, so liegt die Anzahl doch in der Regel deutlich höher als die Zahl von Keimbahnvarianten, welche für angeborene Syndrome oder Krankheitsdispositionen verantwortlich sind. Gleichzeitig konterkariert aber diese hohe Zahl der genetischen Veränderungen in gewisser Weise die oben skizzierten berufspolitischen Auseinandersetzungen: Gerade die Komplexität der genetischen Veränderungen erfordert eine interdisziplinäre Zusammenarbeit in der Analyse und Interpretation dieser Veränderungen im Sinne des Patienten. Und gerade die Komplexität der Veränderungen führt dazu, dass letztlich (fast) jeder Patient ein individuelles Mutationsmuster seiner Tumorzellen besitzt, welches zudem im Rahmen einer klonalen Evolution sich noch ständig verändern kann. Aus großen Patientenzahlen werden so schnell (sehr) kleine molekulare Subgruppen, welche (...truncated)


This is a preview of a remote PDF: https://link.springer.com/content/pdf/10.1007%2Fs11825-017-0122-x.pdf

Prof. Dr. med. Reiner Siebert. Von der somatischen Tumorgenetik zur personalisierten Onkologie, medizinische genetik, 2016, pp. 413-415, Volume 28, Issue 4, DOI: 10.1007/s11825-017-0122-x