Nebenwirkungslisten sind kontraproduktiv!

MMW - Fortschritte der Medizin, Nov 2017

Die Behörden fordern die Auflistung sämtlicher Arzneimittelnebenwirkungen auf dem Beipackzettel und in der Werbung. Paradoxerweise wirken die Medikamente dadurch auf Patienten attraktiver.

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Nebenwirkungslisten sind kontraproduktiv!

MMW Fortschritte der Medizin Nebenwirkungslisten sind kontraproduktiv! können. Der Mann war systemisch und lokal mit Kortikoiden behandelt worden. Jetzt fand sich ein generalisiertes gerötetes und schuppendes Exanthem mit ausgeprägten Hyperkeratosen im Bereich von Gesicht, Nacken (Abb. A) und Genitale (Abb. B). Bei der mikroskopischen Untersuchung eines Schabepräparats aus dem Abdominalbereich waren Milben erkennbar, sodass die Diagnose einer inkrustrierten Scabies gestellt werden konnte. Es handelt sich dabei um eine seltene und besonders schwere Form der Scabies, die wegen der starken Besiedelung mit Milben hochkontagiös ist. Sie tritt vor allem bei immunkompromittierten Patienten, bei sensorischer oder motorischer Neuropathie oder bei Demenz auf, kann aber auch bei Personen ohne eindeutige Risikofaktoren vorkommen. Wird die Erkrankung nicht diagnostiziert, so können diese Patienten zur Quelle einer Epidemie in stationären Gesundheitseinrichtungen und Pflegeheimen werden. Der Patient wurde oral mit Ivermectin und topisch mit salicylsäurehaltiger Salbe behandelt, woraufhin sich die Symptomatik innerhalb von zwei Wochen zurückbildete. ■ Prof. Dr. med. H. S. Füeßl ■ Elosua-Gonzales M, Garcia-Zamora E. Crusted Scabies. N Engl J Med. 2017;377:476 6 7 4 : 7 7 3 ; 7 1 0 2 . d e M J l g n E N © A, B: Schuppendes Exanthem mit ausgeprägten Hyperkeratosen. - _ In den USA werden verschreibungsp ichtige Arzneimittel ö entlich beworben. Für ein Experiment bekamen Versuchspersonen nun einen Radiospot für ein Antidepressivum vorgespielt. Randomisiert hörten sie entweder das Original oder eine gekürzte Version, in der drei leichte unerwünschte Nebenwirkungen fehlten. Wer die vollständige Liste hörte, hielt die Nebenwirkungen für weniger schwerwiegend und sah das Medikament insgesamt positiver. Es folgten drei prinzipiell ähnliche Experimente, in denen zwei Gruppen von Versuchspersonen gedruckte Informationen vorgelegt wurde: • zwei schwere und zwei leichte vs. nur zwei schwere Nebenwirkungen • Nutzen und schwere vs. Nutzen und alle Nebenwirkungen • Nutzen und Nebenwirkungen ver mischt, nicht in Einzelabschnitten. Bei allen Versuchen war das Ergebnis gleich: Je länger die Nebenwirkungsliste, desto eher wurde die Schwere der Nebenwirkungen unterschätzt und die Attraktivität des Medikaments erhöht. ■ Sivanathan N, Kakkar H: The unintended consequences of argument dilution in direct-to-consumer drug advertisements. Nat Hum Behav. 2017;1:797–802 KOMMENTAR In Deutschland ist die direkte Werbung beim Verbraucher verboten, doch muss auch hierzulande der Beipackzettel eine ausführliche Aufzählung der Nebenwirkungen enthalten. Die ausgeklügelten Experimente der Autoren an 3.059 Probanden zeigen nun, dass ellenlange Auflistungen nicht etwa die Patienten schützen, sondern im Gegenteil dazu führen, dass die Nebenwirkungen unterschätzt werden. Psychologen bezeichnen dies als „Verwässerungseoeekt“ (argument dilution eoeect): Bei der Entscheidungs¢ndung werden wichtige Argumente durch weniger wichtige „verdünnt“. Einen Lösungsvorschlag haben die Autoren bereits experimentell geprüft: Wenn die schweren Nebenwirkungen in der Arzneimittelinformation vergrößert, fett und rot gedruckt werden, gelingt die intendierte Information. ■ Prof. Dr. med. H. Holzgreve Das sieht man selten: Inkrustierte Scabies A B Ein 71-jähriger Mann mit bekannter Leberzirrhose suchte wegen eines schweren allgemeinen Juckreizes die Nothilfe auf. Bereits drei Monate zuvor war er mit geröteter und schuppiger Haut im Bereich des behaarten Kopfs und der Hände vorstellig geworden. In zwei Schabepräparaten hatten damals keine Milben gefunden werden (...truncated)


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H. Holzgreve. Nebenwirkungslisten sind kontraproduktiv!, MMW - Fortschritte der Medizin, 2017, pp. 38-38, Volume 159, Issue 20, DOI: 10.1007/s15006-017-0321-z