Über Ambivalenz

Forum der Psychoanalyse, Dec 2011

Prof. em., Dr. rer.pol. Kurt Lüscher

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Über Ambivalenz

ber Ambivalenz 0 Kurt Lscher 0 0 Prof. em., Dr. rer.pol. K. Lscher () Humboldtstr. 15, 3013 Bern, Schweiz dass fr einen verbreiteten Begriff der Umgangssprache so etwas wie eine auf den t ag genaue Geburtsurkunde vorliegt, die ihn zu einem Hundertjhrigen macht, ist an sich erstaunlich genug. Wenn es sich dabei um einen Begriff handelt, der - wie dies fr ambivalenz zutrifft - vorab in der Psychoanalyse und von dort ausstrahlend in zahlreichen wissenschaftlichen disziplinen und arbeitsfeldern ebenso wie in der literatur, der Kunst und der Musik weiter entfaltet wurde, ist ein rckblick auf seine Geschichte sehr wohl angemessen. Wenn berdies offensichtlich ist, dass er Erlebensweisen, Erfahrungen und Einsichten bezeichnet, die lngst vor seinem Entstehen umschrieben worden sind, mithin anthropologische dimensionen in den Horizont kommen, dann ist es auch angebracht, seine aktuelle und die absehbare knftige t ragweite zu bedenken. Eben diese Beweggrnde haben uns in einer kleinen arbeitsgruppe dazu veranlasst, fast auf den t ag genau hundert Jahre, seit Eugen Bleuler in Bern erstmals ffentlich ber ambivalenz sprach, ein interdisziplinres Symposium durchzufhren. den Kern der arbeitsgruppe bildeten der Psychiater Markus Binswanger, die Psychoanalytiker o laf Knellessen und Pierre Passett sowie ich selbst als Soziologe. das Zrcher Psychoanalytische Seminar bot Gastfreundschaft an; die Clienia littenheid aG sowie das Kompetenzcluster Kulturelle Grundlagen der integration der Universitt Konstanz konnten als weitere institutionelle t rger gewonnen werden. dank der offenheit und Neugierde der redakteurin des Forum der Psychoanalyse kam ein Kontakt mit dessen Herausgebern zustande, die sich gleichermaen interessiert zeigten. - So ist es mglich, mit diesem Heft des Forum der Psychoanalyse das Postulat ambivalenz weiterschreiben! zur diskussion zu stellen: Mit vier referaten aus theorie und Praxis, mit Kommentaren sowie mit einer Schilderung des t agungsverlaufs alles geschrieben in der Hoffnung, dass sich darin anste fr theoretischanalytische, praktisch-therapeutische und interdisziplinr-innovative Arbeiten finden lassen. im Namen der arbeitsgruppe und der institutionellen t rger danke ich dem Verlag, den Herausgebern und der redakteurin fr diese wunderbare intellektuelle Gastfreundschaft. Ambivalenz in der Psychoanalyse und den Sozialwissenschaften Wie kommt es, dass ein Wort aus der Psychiatrie in die alltagssprache und in viele wissenschaftliche disziplinen bernommen wird dem anschein nach heute noch mehr als frher? Was tun wir mit Begriffen, und was tun Begriffe mit uns? Weist a mbivalenz auf ein bergreifendes thema hin? auf eine condition humaine? Bereits Bleuler selbst ahnte die Weite des Bedeutungshorizonts. das zeigt ein aufsatz, der wegen des orts seines Erscheinens an sich aufmerksamkeit verdient, nmlich der Festgabe, dem Zrcher Volk gewidmet von der dozentenschaft der Universitt Zrich aus anlass der Einweihung der Neubauten am 16. april 1914. adressat war eine breitere ffentlichkeit. dies regte Bleuler offenbar dazu an, darzulegen, dass die mit ambivalenz gemeinten Erfahrungen auch im alltglichen leben zu beobachten sind. Sie sind fr das Verstndnis von Sexualitt und das Verhltnis von Mann und Frau von Belang. berdies sind sie seiner ansicht nach eine der wichtigsten Triebfedern der Dichtkunst, und sie finden sich in Gottesbildern. Freud nahm den Begriff bekanntlich bereits zwei Jahre nach Bleulers erster Verffentlichung in der abhandlung ber die dynamik der bertragung auf. in einer Funote spricht er von einem glcklichen, von Bleuler eingefhrten Namen. Freuds Faszination zeigt sich darin, dass er den Begriff unter anderem in seiner Neurosenlehre, seiner t riebtheorie sowie seinen abhandlungen zu religion und Kultur nutzte und ihn so weiterentwickelte. Gleiches taten in der Folge zahlreiche autoren in den sich teilweise berlagernden Bereichen von Psychoanalyse und Psychotherapie. d ort zeichnete sich ein wichtiger Wandel ab. Nicht das Erleben von ambivalenz(en) galt als problematisch, sondern die Unfhigkeit, sie sich einzugestehen und damit umzugehen. Vor allem dann in der zweiten Hlfte des 20. Jahrhunderts setzte eine sich zusehends verbreiternde rezeption in anderen diskursen und disziplinen ein. in der Psychologie wird ambivalenz in der analyse des Umgangs mit einander widersprechenden Einstellungen genutzt eine Fragestellung, die in politikwissenschaftlichen Untersuchungen zum Whlerverhalten bernommen wurde. in der Soziologie dient Ambivalenz dazu, auf die Spezifik von Rollenkonflikten in professionellen Ttigkeiten aufmerksam zu machen, beispielsweise im arztberuf, bei dem gleichzeitig Empathie und distanz gefordert sind. Spter wurde ambivalenz in der analyse von Generationenbeziehungen genutzt, fr die in vielen Fllen das Hin und Her zwischen a bhngigkeit und Eigenstndigkeit, zwischen Nhe und distanz und unter Umstnden sogar zwischen liebe und Hass kennzeichnend ist. damit unvoreingenommen umzugehe (...truncated)


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Prof. em., Dr. rer.pol. Kurt Lüscher. Über Ambivalenz, Forum der Psychoanalyse, 2011, pp. 323-327, Volume 27, Issue 4, DOI: 10.1007/s00451-011-0087-3