Residentielle Segregation nach Nationalität – ein Diskurs voller Widersprüche
Residentielle Segregation nach Nationalität - ein Diskurs voller Widersprüche
Jens S. Dangschat 0 1
0 J. S. Dangschat ( ) Fachbereich Soziologie (ISRA), Technische Universität Wien , Karlsplatz 13, 1040 Wien, Österreich
1 Schlüsselwörter Residenzielle Segregation · Soziale Ungleichheit · Ortseffekte · Methodische Probleme
Zusammenfassung Die Analyse der Segregation migrantischer Gruppen stand nicht nur am Anfang der Stadtsoziologie der Chicagoer Schule, sondern ist auch heute noch einer der zentralen Bereiche der Stadt- und Raumsoziologie. Zudem wird die Konzentration bestimmter Zugewanderter in Stadtteilen seitens der Politik, Verwaltung und Öffentlichkeit sehr emotional und normativ behandelt sowie meist durchweg abgelehnt. Dieser Einschätzung steht jedoch allenfalls eine geringe wissenschaftliche Evidenz hinsichtlich der Verhinderung/Unterstützung von sozialer Kohäsion gegenüber. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen: Zum einen sind „Nationalität“ und „Zuwanderungshintergrund“ keine sinnvollen sozialwissenschaftlichen Kategorien, da der Zusammenhang zu integrationsrelevanten Einstellungen und Verhaltensweisen aufgrund der starken Binnenvariation weiterer Ungleichheitsmerkmale gering und offensichtlich weiter schwindend ist. Ein zweiter Grund ist, dass mögliche Nachbarschafts-/Ortseffekte von Quartieren mit hohem Ausländeranteil bislang nicht systematisch untersucht wurden. Drittens können empirische Erkenntnisse aus anderen Studien aufgrund der hohen Orts- und Zeitabhängigkeit sozialräumlicher Phänomene kaum in vergleichenden Analysen übertragen werden. Schließlich stellt sich vor dem Hintergrund der Wirkung sozialer Netze und der hohen Mobilität in der Stadt die Frage, zu welchem Grad die unmittelbare Wohnumgebung als (nahezu ausschließliche) Sozialisationsinstanz angesehen werden kann. Abschließend wird auf die Defizite einer Migrations-Soziologie hingewiesen, so lange sie nicht in der Lage ist, sozialräumliche Typologien zu entwickeln, mit denen sich integrationsrelevante Einstellungen und Verhaltensweisen beschreiben und erklären lassen.
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Residential segregation by nationality – a discourse full of contradictions
Abstract The analysis of segregation of migrants not only was one of the starting
points of Chicago School of urban sociology, but is up to now still one of the
central aspects of urban and spatial sociology. Moreover, the debate about the
spatial concentrations of specific migrants in policies, administration and the public
is rather emotional and normative. Spatial concentrations are refused mainly without
any exception. However, this position is lacking a proper statistical evidence for
either support or prohibition of social cohesion. There are some reasons for this
mismatch: First of all, ,nationality‘ and ,migration experience‘ are no sufficient
categories of social sciences, as the correlation with relevant attitudes and behaviour
is small (and obviously shrinking) due to the internal variance within these broad
groups. Second, supposable neighbourhood/place effects of neighbourhoods with
high rates of foreigners are not systematically analysed up to now. Third, empirical
results of other studies can hardly be used in a simple comparative analysis, as
these results are highly dependent from place and time. Forth, considering the
impact of social media and the high mobility rates within cities, the immediate
neighbourhood cannot be understood as the almost exclusive area of socialisation.
Finally, deficits of migration sociology are mentioned, particularly as no proper
socio-spatial typologies are developed in this field so far to describe and explain
attitudes and behaviour which are relevant for integration.
Seit etwa zehn Jahren wird seitens der Politik und Verwaltung eine gesteuerte
internationale Zuwanderung als eine conditio sine qua non einer alternden Gesellschaft
zur Ausschöpfung der Potenziale der Arbeitsmärkte und letztlich als
Grundvoraussetzung dafür dargestellt, dass die internationale ökonomische Wettbewerbsfähigkeit
von Nationalstaaten und damit das „Überleben“ gesichert werden kann.
Formulierungen wie „Wir brauchen Zuwanderung“ und „Eine Großstadt hat in historischer
Rückschau immer von der Innovation der Zuwanderer profitiert“ weisen jedoch auch
auf die Notwendigkeit hin, die Zugewanderten in die Aufnahmegesellschaft zu
integrieren. Hinsichtlich der Frage des „ob“ und des „wie“ der Integration gibt es jedoch
innerhalb moderner Gesellschaften deutlich unterschiedliche Antworten, welche es
bis heute schwierig machen, die Integrationsherausforderungen in Politik und
Verwaltung angemessen zu diskutieren sowie entsprechende Rahmenbedingungen und
Anreizsysteme zu setzen. Dabei werden zwei Aspekte der Integration intensiv
diskutiert: erstens den Erwerb der Sprache des Aufnahmelandes als Voraussetzung für den
Zugang zu Bildung und Erwerbsarbeit und damit zur sozio-strukturellen Integration.
Zweitens die „Integration in der Nachbarschaft“ als Ort der jeweiligen Lebens (...truncated)